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1. Das Deutsche Reich - S. 133

1905 - Berlin : Mittler
— 133 entstanden. Die Kunststraßen über die Alpen verdanken dem Jahrhundert des Verkehrs ihre Entstehung. Im Jahre 1805 wurde die herrliche Simplonstraße dem Verkehr übergeben, an der 5000 Arbeiter fünf Sommer lang gearbeitet, und für deren Bau man mehr als 12 Mill. Franken verausgabt hatte. Die Sorgfalt, die man dem Straßenbau im 19. Jahrhundert zuwandte, ist in sämtlichen Kulturstaaten zu beobachten. Eine besondere Rührigkeit zeigten in dieser Beziehung die ver- schiedenen deutschen Staaten, und als die ersten Eisenbahnen gebaut wurden, hörte dieser Eifer nicht etwa auf, vielmehr er- wies sich die Entwicklung des Eisenbahnnetzes fördernd für den Straßenbau, da man erkannte, daß der Anschluß der ein- zelnen Orte an die Eisenbahnlinien sowohl für die Hebung des Eisenbahnverkehrs, als auch für die in den Verkehr hinein- gezogenen Orte von größter Bedeutung war. Gegenwärtig be- findet sich das Landstraßenwesen in Deutschland im allgemeinen auf einer den modernen Verkehrsbedürfnissen entsprechenden Höhe, wenn auch nicht in Abrede zu stellen ist, daß einige der deutschen Staaten mit Ausgestaltung ihres Wegenetzes im Rückstände gebheben sind. b. Verkehrsbedeutung der Landstraßen. Es ist selbstverständlich, daß heute die Landstraßen eine ganz andere Stelle im Verkehrsleben einnehmen als in früherer Zeit, in der es noch keine Eisenbahnen gab. Für den Groß- und Fernverkehr haben sie zwar ihre Bedeutung verloren; um so wichtiger ist die Rolle, die sie im Kleinverkekr spielen, und für diesen werden sie immer ihre Bedeutung behalten. Gegen- wärtig fällt ihnen die Aufgabe zu, die unmittelbare Zuführung der Bedürfnisse an den Konsumenten zu vermitteln. Der Fern- verkehr im Binnenhandel vollzieht sich auf Eisenbahnen und Wasserstraßen, der Lokalverkehr spielt sich auf den Land- straßen ab. Daß Eisenbahnen und Landstraßen sich gegen- seitig in ihrer Bedeutung für das Verkehrsleben heben, wurde bereits früher hervorgehoben. Ein gleiches läßt sich von Binnenwasserstraßen und Landstraßen sagen. Je dichter diese auftreten, um so höher ist ihre Bedeutung. In ihrer Massen- haftigkeit, Verbreitung und Gesamtlänge liegt der eigentliche Verkehrswert. Der Mangel an einem guten und dichten Straßennetz in einem Lande wird daher immer eine wirtschaft- liche Benachteiligung seiner Bewohner in sich schließen.

2. Das Deutsche Reich - S. 145

1905 - Berlin : Mittler
— 145 2,2 Pfennig gesunken, und bei Ausnahmetarifen beträgt er nur 1,25 Pfennig. Diese enorme Yerbilligung mußte sich naturgemäß für die Entwicklung aller jener Erwerbszweige, die auf den Bezug oder den Versand von massigen Rohstoffen angewiesen sind, von geradezu unberechenbarer Wirkung sein. 2. Bequemlichkeit, Schnelligkeit und Sicherheit. In bezug auf Bequemlichkeit, Schnelligkeit und Sicherheit des reisenden Publikums suchen die Eisenbahnverwaltungen den höchsten Anforderungen gerecht zu werden. Wie bescheiden mußte in früherer Zeit der Reisende in seinen Ansprüchen sein, wenn er sich der Postkutsche anvertraute. Eine Wärm- flasche mußte den Ofen oder die Dampfheizung, eine trübe Öllampe die Gasbeleuchtung ersetzen. Heute lassen eingestellte Schlaf- und Restaurationswagen in den Eisenbahnzügen Fahrten auf langen Strecken, wie Berlin—rom, Paris—konstantinopel oder Paris — Petersburg, ganz erträglich erscheinen. Zudem bringt es die große Schnelligkeit der Blitzzüge und der kurze Aufenthalt auf den Stationen mit sich, daß große Strecken in verhältnismäßig kurzer Zeit zurückgelegt werden. So durch- fährt man beispielsweise die 2498 km lange Linie von Berlin nach Konstantinopel in 62 bis 63 Stunden. Und diese große Geschwindigkeit wird nicht etwa, wie vielfach angenommen wird, auf Kosten der Sicherheit für das Leben und die Gesund- heit der Reisenden erzielt. Im Gegenteil! Während bei den Postfahrten früherer Zeit auf weniger als 400 000 Reisende ein Unfall mit tödlichem Ausgange kam, entfällt bei dem Eisen- bahnverkehr auf etwa 5 Mill. Reisende ein bei einem Eisenbahn- unfall Getöteter. B. Der deutsche Welthandel, seine Wege und Mittel. 1. Deutschlands Welthandel. a. Geschichtliche Entwicklung. Die ersten Anfänge des deutschen Außenhandels reichen zurück bis zur Römerzeit. Zu hoher Entwicklung war er bereits zur Zeit Karls des Großen gediehen. Es bestand damals ein reger Güteraustausch zwischen Deutschland und dem Orient, der von Konstantinopel vermittelt wurde und sich auf der Donaustraße vollzog. Gegen orientalische Waren, wie Ol, Gewürze, Seide und seidene Gewänder, wurden deutsche Industrie- erzeugnisse ausgetauscht. Dieser Handelsverkehr bestand bis zum Jahre 1200. Wolff— Pflug, Wirtschaftsgeographie. I. 10

3. Das Deutsche Reich - S. 157

1905 - Berlin : Mittler
— 157 3. Die Weltpost. a. Wie hat sich die Weltpost entwickelt? Das 19. Jahrhundert, das Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität, hat auf dem Gebiete des nationalen und internationalen Völker- imd Güter- verkehrs gewaltige Umwälzungen geschaffen. Mit der Gründung des Weltpostvereins im Jahre 1874 tat die Post jenen kühnen Schritt, der eine vollständige Neugestaltung dieses Verkehrsmittels im Gefolge hatte. Wie notwendig gerade auf diesem Gebiete das Eingreifen einer schöpferischen Hand war, davon überzeugt uns ein Blick in die postalischen Verhältnisse Deutschlands um die Mitte des 19. Jahrhunderts, noch mehr aber die Be- trachtung des internationalen Postverkehrs aus jener Zeit. Deutschland war damals geradezu der Schauplatz postalischer Ver- wirrung. Kein Wimder, da jeder deutsche Kleinstaat seine eigene Post hatte. Mehrere Staaten bemühten sich sogar, in den Zentren des inter- nationalen Verkehrs, wie in Hamburg, Lübeck und Bremen, den Post- verkehr an sich zu ziehen, ohne Rücksicht auf die Bequemlichkeit für das Publikum. Hamburg bot in dieser Hinsicht ein geradezu kurioses Bild. Wer dort seine Postsachen schnell und sicher befördert haben wollte, mußte »Briefe für Sachsen und einige mitteldeutsche Herzogtümer zur preußischen Post, Briefe für Braunschweig zur hannoverschen Post, solche ñü Olden- burg, Bremen und Lübeck zur Hamburger Stadtpost, Briefe nach dem nahen Lauenburg zur dänischen, Briefe nach der einen Hälfte Österreichs zur preußischen, nach der andern Hälfte zur Turn- und Taxischen Post %eben.« *) Dieses Beispiel mag genügen, um ein Bild von der Verworrenheit der deutsch-inländischen Postverhältnisse zu geben. Nicht minder schwierig waren die postahschen Beziehungen zum Auslande. Von Einheitlichkeit in den Porto- und Gewichtssätzen, von Schnelligkeit und Sicherheit in der Beförderung der Briefe konnte kaum die Bede sein. Besonders hemmend für den Auslandsverkehr erwiesen sich die hohen Portosätze, zahlte man doch für einen Brief aus Deutschland nach Eom 48 oder 68 oder 85 oder sogar 90 Pfennig, je nachdem er seinen Weg durch Österreich, durch die Schweiz, über Frankreich oder zu Wasser über Genua nahm. Im Jahre 1860 zahlte man für einen Brief von Berlin nach Edinburg 1 Mark, während er heute nach der Weltposttaxe nur 20 Pfennig kostet. Als der eigentliche Begründer der Weltpost verdient der Generalpostmeister des Deutschen Reiches v. Stephan genannt zu werden, der die Bedürfnisse des internationalen Verkehrs- lebens klar erkannte und eifrig bestrebt war, die Kulturstaaten der Erde zu einer großen Postverkehrsgemeinschaft zusammen- zufügen. Dieses Verkehrsideal des hochverdienten Staatssekre- tärs wurde auf dem ersten internationalen Postkongreß zu Bern im Jahre 1874 durch Abschluß des Weltpostvertrages und Gründung des Weltpostvereins in die Wirklichkeit um- gesetzt. *) Jung, Weltpostverein. i

4. Das Deutsche Reich - S. 158

1905 - Berlin : Mittler
_ 158 — Der Weltpostverein, in dem sich 22 Staaten mit 350 Mill. Einwohnern zu einem gewaltigen Postverkehrsgebiet zusammen- schlössen, ist nicht nur eine Schöpfung von eminent kultureller Bedeutung, sondern hat sich auch als ein gewaltiger Förderer der kommerziellen Beziehungen zwischen den verschiedenen Nationen der Erde erwiesen. Ursprünglich nur auf die Rege- lung des internationalen Briefverkehrs bedacht, hat der rührige Verein dann auf den periodisch abgehaltenen Postkongressen 'sein Tätigkeitsbereich bedeutend erweitert. Dem Briefverkehr wurden nach und nach Wertbrief, Postanweisungs- und Paket- verkehr sowie die Versendung von Postaufträgen und der internationale Zeitungsversand angegliedert. Auch an Umfang hat der Weltpostverein im Laufe der Jahre derart zugenommen, daß ihm heute alle Länder der fünf Erdteile bis auf wenige Gebiete in Asien und Afrika angehören. 1100 Mill. Menschen sind es, denen heute die Segnungen des geregelten Postverkehrs zugänglich gemacht werden können. Geradezu riesenhaft ist die Steigerung, die der Postverkehr sfeit dem Jahre 1875 aufweist, ist doch die Zahl der Post- sendungen von 390 Mill, auf annähernd 3000 Mill, gestiegen. Und fragen wir uns, in welchem Maße das Deutsche Reich an diesem Verkehrsaufschwunge teilgenommen hat, so dürfen wir mit Stolz sagen, daß es alle andern Staaten weit hinter sich zurückläßt und im Weltpost verkehr die erste Stelle einnimmt. Diese Tatsache gestattet uns, mit hoher Befriedigung einen Blick auf unsere gesamte wirtschaftliche Außenentwicklung zu werfen und der Frage näherzutreten: b. Welche kommerzielle Bedeutung hat speziell der Weltpostverein für Deutschland? Zwischen dem Weltpostverein und der Entwicklung des deutschen Welthandels lassen sich zahlreiche Beziehungen nachweisen, wobei man den Gedanken festhalten kann, daß sie gegenseitig Ursache und Wirkung zugleich sind. Zu den wichtigsten Grundlagen des Welthandels, wie Angebot und Nach- frage, gesellt sich der Weltpostverkehr als ein sehr bedeutungs- voller Faktor, da er wegen seiner Schnelligkeit und Billigkeit in der Nachrichtenbeförderung die entfernt wohnenden Völker einander näher bringt und sie zu gegenseitigem Güteraustausch anregt.

5. Die Verkehrsländer des Deutschen Reiches, nach Wirtschaftsgebieten geordnet - S. 1

1908 - Berlin : Süsserott
Kleine Wirtschafts-, Handels- und Verkehrsgeographie. Zum Gebrauch in Fortbildungs-, Handels- und Fachschulen bearbeitet von Emil Keuchel und Johannes Oberbach, Lehrern der Städt. Handelslehranstalt zu Frankfurt a.m. Ii. Teil, enthaltend die Verkehrsländer des Deutschen Reiches, nach Wirtschaftsgebieten geordnet. Dritte verbesserte Auflage. Preis M 1.20, gebunden M 1.50. Berlin 1908. Verlag von Wilhelm Süsserott, Hofbuchhändler Sr. Kgl. Hoheit des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin.

6. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 41

1913 - Leipzig : Hahn
41 gaben, durch welche die Erwerbsfähigkeit gehemmt wird. Man will Kummer und Sorgen bekämpfen, und statt zum wahren Freunde zu gehen, der einen mit Rat und Tat unterstützt, geht man zu falschen Freunden in die Kneipe, die einem sagen: „Du bist nicht schuld, sondern die heute herrschenden sozialen Einrichtungen, und die dem Trostsuchenden einen Fußtritt geben, sobald er seine Wirtshaus- rechnung nicht mehr bezahlen kann." Die letzte Ausrede des Alkoholfreundes ist die schwerwiegendste: „Mein Beruf erlaubt es mir nicht, mich des Alkoholgenusses zu enthalten." Damit wälzt er die Schuld von sich ab und stempelt sich zum Märtyrer. Die Statistik weist nach, daß es keinen Beruf gibt, in dem man nicht ohne Alkohol leben kann. Alle Einwendungen der Alkoholfreunde schrumpfen in ein Nichts zusammen, es sind Ausflüchte und Beschönigungen; wer offen und ehrlich sein Glas verteidigen will, sage doch lieber: Ich trinke Wein und Bier, weil ich gern trinke, oder weil ich mich schäme, etwas anderes zu trinken. Der Alkohol, wie er im Wein, Bier und Schnaps getrunken wird, ist also durchaus unnötig, und das viele Geld ist nutzlos vergeudet. Deutschland gibt in jedem Jahre 3 Milliarden Mark für Alkohol aus, doppelt soviel als der gesamte Reichshaushalt aus- macht. Während die ganze Steuer auf den Kopf der Bevölkerung 25 M beträgt, gibt unser Volk pro Kopf 50 M für Alkohol aus. Und mehr als 150000 Deutsche führt der Alkohol jährlich vor den Strafrichter. Wieviel Elend und Not enthalten diese trockenen Zahlen! Wenn es doch nur vergeudet wäre, aber Alkohol ist ein Gift und eine Ursache vieler Erkrankungen. Charles Darwin sagt: „Durch meine, meines Vaters und meines Großvaters lange Erfahrungen... die sich über mehr als ein Jahrhundert erstrecken, bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß keine andere Ursache so viel Leiden, Krankheit und Elend erzeugt als der Genuß alkoholischer Getränke." Dieselbe Ansicht haben die berühmtesten Professoren und Ärzte. Alle Organe des Menschen werden von diesem Gifte in ihren Verrichtungen gestört und krankhaft verändert. Der chronische Katarrh des Rachens und der chronische Magenkatarrh des Trinkers sind allgemein bekannt. Daß die unheilbaren Nieren- und Leber- leiden zum großen Teil Folgen des Alkohols sind, hat leider schon mancher zu spät erfahren müssen. Als Nervengift kennzeichnet sich der Alkohol schon durch seine lähmende Wirkung am Gehirn. Es gibt keine Nervenkrankheit, wobei nicht der Alkohol als ursächliches Moment eine Rolle spielte. Im Berliner Krankenhaus werden jähr- lich 5 bis 600 an Säuferwahnsinn leidende Kranke ausgenommen, ab" gesehen von den vielen anderen Nervenkranken. Nach vr. Franz Schönenberger.

7. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 45

1913 - Leipzig : Hahn
45 zu sehen. Ich sah mich verwundert um und war im Begriff, auf die Straße zurückzugehen, als sich die Hintertür öffnete und mein Vater mit einer Last von Eisen hereintrat. Jetzt war all mein Kummer überwunden, und ich war meines Ge- mütes Herr. Als er seine Last abgesetzt hatte, trat ich auf ihn zu, grüßte mit dem Handwerksgruße und fragte an, ob er einen Gesellen brauche. Ihr kommt wie gerufen, antwortete er, ohne daß er sich Zeit nahm, mich genau anzusehen, und wenn ihr noch ein halbes Dutzend solcher Burschen, wie ihr seid, mitgebracht hättet, sie sollten bei mir arbeiten. Mein Vater war in meiner Abwesenheit merklich gealtert, sein weißes Haar hing dünn um seine Stirn und Schläfe; aber es war in seiner Stimme und seinem ganzen Wesen eine muntere Fröhlichkeit, die mir ganz fremd an ihm war. Nun, legt euer Bündel ab, setzte er hinzu, und zeigt mir eure Kundschaft vor, und wenn ihr gute Zeugnisse mitbringt, so soll euch die Meisterin zurechtweisen. Mein Herz pochte mir bis an die Kehle hinauf. Ich hörte jetzt, daß meine Mutter noch lebte; aber ich konnte nicht reden, sondern packte stillschweigend meine Kund- schaft aus und reichte sie dem Meister hin. Mein Vater zog bedächtig seine Brille aus der Tasche, nahm sie aus dem Futteral, setzte sie auf, schlug dann die Kundschaft auseinander und las. Ich zitterte voll Erwartung und Freude. Als mein Vater meinen Namen las, schien er bestürzt; dann sah er mich an, erkannte mich, ließ die Kundschaft auf die Erde fallen, ging zur Hintertür hinaus und rief meine Mutter. Ich wollte ihm nach ; aber er kam sogleich zurück, faßte mich bei der Hand und sagte : Willkommen, Philipp ! Gott sei gedankt, du bist zur guten Stunde gekommen. Diese Hände haben lange gefeiert ; aber morgen, so Gott will, wollen wir arbeiten. Die Mutter nahte jetzt der Tür; ich hörte ihre Fußtritte und machte eine Bewegung, ihr entgegenzugehen. Aber mein Vater hielt mich mit der Hand zurück, wandte sich nach meiner Mutter und sagte, als sie hereintrat : Gott sorgt für uns, Mutter. Die Werkstätte ist kaum geöffnet, so fragt dieser wackre Gesell nach Arbeit vor. Mache ihm eine Kammer zurecht und gib ihm zu essen. Ich denke, er soll uns für zwei arbeiten. Die Meisterin nannte mich willkommen und reichte mir die Hand. Da war ich nun meiner nicht mehr Herr. Ich zog sie an mich, fiel dir um den Hals und sagte : Mutter, kennt ihr mich nicht? Da schob sie mich leise zurück, sah mich an, fiel

8. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 54

1913 - Leipzig : Hahn
54 Unterdes war das Wasser ins Sieden geraten, und Hühnchen brachte aus der größeren Tüte fünf Eier zum Vorschein, die zu kochen er nun mit großem Geschick unter Beihilfe seiner Taschenuhr unternahm. Nachdem er sodann frisches Wasser für den Tee aufgesetzt und ein mächtiges Brot herbeigeholt hatte, setzte er sich mit dem Ausdruck der höchsten Befriedigung zu mir in ein benachbartes Tal des Sofas, und die Abendmahlzeit begann. Als mein Freund das erste Ei verzehrt hatte, nahm er ein zweites und betrachtete es nachdenklich. „Sieh mal, so ein Ei," sagte er, „es enthält ein ganzes Huhn, es braucht nur ausgebrütet zu werden. Und wenn dies groß ist, da legt es wieder Eier, aus denen nochmals Hühner werden, und so fort, Generationen über Generationen. Ich sehe sie ver mir, zahllose Scharen, die den Erdball bevölkern. Nun nehme ich dies Ei, und mit einem Schluck sind sie vernichtet! Sieh mal, das nenne ich schlampampen!" Und so schlampampten wir und tranken Tee dazu. Ein kleines, sonderbares, gelbes Ei blieb übrig, denn zwei in fünf geht nicht aus, und wir beschlossen, es zu teilen. „Es kommt vor," sagte mein Freund, indem er das Ei geschickt mit der Messerschneide ringsum anklopfte, um es durchzuschneiden, „es kommt vor, daß zuweilen ganz seltene Exemplare unter die gewöhnlichen Eier geraten. Die Fasanen legen so kleine, gelbe; ich glaube wahrhaftig, dies ist ein Fasanenei, ich hatte früher eins in meiner Sammlung, das sah gerade so aus." Er löste seine Hälfte sorgfältig aus der Schale und schlürfte sie bedächtig hinunter. Dann lehnte er sich zurück, und mit halbgeschlossenen Augen flüsterte er unter dem Schmunzeln eines Feinschmeckers: „Lukullisch!" Nach dem Essen stellte sich eine Fatalität heraus. Es war zwar Tabak vorhanden, denn die spitze, blaue Tüte, die Hühnchen vorhin ein- gekauft hatte, enthielt für zehn Pfennig dieses köstlichen Krautes, aber mein guter Freund besaß nur eine einzige invalide Pfeife, deren Mundstück bereits bis auf den letzten Knopf weggebraucht war, und deren Kops, weil er sich viel zu klein für die Schwammdose erwies, die unverbesser- liche Unart besaß, plötzlich herumzuschießen und die Beinkleider mit einem Funkenregen zu bestteuen. „Diese Schwierigkeit ist leicht zu lösen," sagte Hühnchen, „hier habe ich den Don Quijote; der eine raucht, der andere liest vor, ein Kapitel ums andere. Du als Gast bekommst die Pfeife zuerst, so ist alles in Ordnung." Dann, während ich die Pfeife stopfte und er nachdenklich den Rest seines Tees schlürfte, kam ihm ein neuer Gedanke. „Es ist etwas Großes," sagte er, „wenn man bedenkt, daß, damit ich hier in aller Ruhe meinen Tee schlürfen und du deine Pfeife rauchen kannst, der fleißige Chinese in jenem fernen Lande für uns pflanzt und der Neger für uns unter der Tropensonne arbeitet. Ja, das nicht allein, die großen Dampfer durchbrausen für uns in Sturm und Wogenschwäü den mächtigen Ozean, und die Karawanen ziehen durch die brennende

9. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 61

1913 - Leipzig : Hahn
61 Da war es aber auch mit seiner eingebildeten Herrlichkeit zu Ende. Eine Stelle als Kellner, wie er sie wünschte, fand sich für den Tischlergesellen, der er doch immer war, in keinem Restaurant und in keinem Gasthofe; überall wollte man „routinierte" Leute haben, und Friedrich Breitkopf, zu stolz, um wieder zum Handwerk zurückzukehren, entschloß sich endlich, nachdem die Aussiellungstrink- gelder verzehrt waren, mit schwerem Herzen dazu, eine Hausknecht- stelle in einem Fuhrmannsgasthause der Provinzialhauptstadt anzu- nehmen. Trinkgelder gab es hier wenig, dafür um so mehr Arbeit, das heißt schwere und unsaubere Arbeit und — Grobheiten. Die Herren Fuhrleute und Dienstknechte sind eben zuweilen trotz aller sonstigen Vorzüge noch ungehobelter als rauhe Bretter. Dem Friedrich Breit- kopf kam es manchmal recht schwer an, alles das einzustecken, was ihm von ihnen geboten wurde, bis es ihm eines guten Tages zu viel wurde und — seine kräftigen Fäuste dem Ärger in seinem Innern Ausdruck verliehen. Die erste Folge dieses Auftritts war, daß ihn sein Brotherr zum Hause hinausjagte, die zweite eine Anklage wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung und die dritte eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Wie schoß das dem armen Friedrich durch Mark und Bein, als der Richter das Urteil verkündete. Sechs Monate Gefängnis! Lebt wohl nun, Reichtum und Ehre, Liebe und Glück! Im Gefängnis hielt sich Friedrich brav, und als ihm eines Tages aufgetragen wurde, einige Tischlerarbeiten anzufertigen, da hätte er fast noch lauter aufgejubelt wie damals, als er Kellner in der Ausstellung war. Hei, wie ließ er Hobel und Säge spielen, und wie fleißig hantierte er an den rauhen Brettern herum! Es war ihm fast, als habe er niemals ein größeres Glück empfunden als in diesem Augenblick, wo er wieder mit den trauten Freunden seiner Lehrlingsjahre, mit dem gewohnten Handwerkszeuge, arbeiten durste. Der Fleiß des jungen Gesellen gefiel auch den Gefängnis- beamten, und da es Tischlerarbeiten in einem solchen großen Hause genug gibt, ließen sie ihn in der Gefängniswerkstatt weiter arbeiten nach Herzenslust, bis endlich seine Zeit abgelaufen war. Mit freundlichen Ermahnungen und dem Zeugnis über seine gute Führung wurde Friedrich Breitkopf in seine Heimat entlassen. Er hatte sich im Gefängnis einen hübschen Groschen Geld erspart und hätte damit wohl anderwärts hingehen können als gerade zu all den Bekannten des heimatlichen Dorfes; indessen, Friedrich Breit- köpf war im Gefängnis ein anderer geworden. Wohl kam es ihm schwer an, den früheren Bekannten wieder unter die Augen zu tteten; er hatte sich aber gelobt, er wolle die Strafe für seinen Fehler bis auf die Hefe auskosten, und die Rückkehr in seine Heimat aus dem

10. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 99

1913 - Leipzig : Hahn
99 — 50. Eine Stunde der Versuchung. Der Tischler Stüber, der in diesen Tagen gestorben ist, erzählte mir auf seinem Sterbebette ein Ereignis aus seinem Leben, dessen Erinnerung ihm ein Labsal war. Ich weiß wohl, sagte er, ich hab' viel Sünden begangen und vieles Gute unterlassen, was ich hätte tun können. Wenn ich aber denke, wie ich die Versuchung bestanden, da kühlt mir's das heiße Kissen, und ich atme leichter. Und doch, begann er dann wieder, wenn man's genau besieht, ist eigentlich nichts dran. Ich war nur nicht schlecht, aber ich war in großer, schwerer Versuchung, und ich hätte mich nicht mein Leben lang so zu plagen gehabt und könnte meinen Kindern jetzt ein schönes Erbe hinterlassen. Schauen Sie, Herr Pfarrer, es ist jetzt Winter und ist Nacht, und ich liege da und kann mich nicht rühren; aber wenn ich mich jener Stunde erinnere, ist Sommer, ist heller, schöner Abend, und ich stehe noch in den besten Jahren und höre ganz deutlich den Kupferschmied neben dem Hause des Stotz einen Kessel klopfen ... Es war ein paar Tage nach dem Tode des Holzhändlers Stotz. Er war ein kluger Kopf, er hat nicht bloß Stämme nach Holland geschickt, er hat auch zwei Sägemühlen angelegt, den größten Teil der Stämme zersägen lassen und damit viel an Arbeitslohn verdient. Er war ein harter Mann, und Sie wissen ja, wie er gestorben ist: von einem Baume am Rockertsberge im Gewitter erschlagen. Ich gehe also nach seinem Hause und trete in die Schreibstube, gleich rechter Hand, wenn man zur Tür hineinkommt. Wie ich eintrete, steht der Buchhalter — ich nenne keinen Namen und bitte, forschen Sie auch nicht nach —, der Buchhalter steht also an dem eichenen Pult, hat beide Ellenbogen auf das Pult aufgelegt und hält den Kopf in den Händen. Er schaut auf, wie ich eintrete, und sagt: „Ei! Herr Stüber, Sie erwarte ich schon." „Ich will eigentlich zur Witwe des Stotz," erwiderte ich, „aber ich kann doch nicht da vorbeigehen und will zuerst mit Ihnen reden. Sie wissen, ich bin dem Verstorbenen Geld schuldig." „1187 Gulden und 30 Kreuzer," sagt der Buchhalter und greift nach einem Papier, „hier ist Ihr Schuldschein, ich habe ihn beiseite gelegt; er ist noch nicht ins Buch eingetragen." „Ja, ja! und da wollt' ich eben der Witwe sagen ..." „Sie weiß nichts davon, und sonst niemand als wir." „Ich will nur gleich hinaufgehen, ich komme bald wieder." „Bleiben Sie doch eine Weile! Reden wir doch zuerst ein wenig allein miteinander", sagte der Buchhalter, gegen die Wand gekehrt, ohne mich anzusehen. Auch ich kann nicht aufschauen, und es ist mir, als ob mich ein Schuß ins Herz getroffen hätte. Der Buchhalter ist gar wohlgemut, er hält den zusammen- gefalteten Schuldschein vor den Mund und pfeift darauf ein luftig 7*
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